2011. december 25., vasárnap

Führerstaat Ungarn - Kommentar - Die Welt




Führerstaat Ungarn

In Ungarn kann man beobachten, wie schnell eine Demokratie sich selbst zerstört. Die regierende Fidesz-Partei unter Victor Orban ist offenbar entschlossen, via Zweidrittelmehrheit die Macht, einmal errungen, lange nicht mehr aus der Hand zu geben. Es ist, als sei der Film in den autoritären, antisemitischen 1930er Jahren stehen geblieben und komme nun wieder ins Laufen.
v1.jpg (577×577)
Das neue Mediengesetz, in der Nacht zum Dienstag durch das Parlament gebracht und schon lange zuvor durch zweckmäßige Spitzen- und Spezibesetzung der Apparate vorbereitet, gibt der neuen Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde weitgreifende antidemokratische Vollmachten. Von Zensur über Beschlagnahme von Dokumenten bis hin zum materiellen Ruin unliebsamer Medien gehört alles dazu, was sich ein autoritäres Regime wünschen mag. Es ist ein Ministerium für Meinungssteuerung und Lobpreis der Macht. Die Spitzenbesetzung besteht aus Parteigängern und Günstlingen des Premiers Victor Orban.
War Österreichs Haider-Zwischenspiel noch Operette, so ist, was sich in Ungarn abspielt, Tragödie. Im Falle Österreich nahm die Europäische Union noch Anstoß und strafte die Alpenrepublik durch Versetzung in die Strafecke. Im Falle Ungarn passiert gar nichts, obwohl der Weg in den autoritären Staat vorgezeichnet ist und wahrhaftig nicht über Nacht begann. Die Freiheit, die Ungarn vor zwei Jahrzehnten für sich und andere errang, geht dahin.
Das Mediengesetz ist entscheidender Teil einer Strategie der Machtgewinnung und -sicherung. Alle 1989/90 eingebauten - und vor dem Eintritt in die Europäische Union gewissermaßen TÜV-geprüften - demokratischen Sicherungen und verfassungsmäßigen Grenzen der Macht werden aus dem Weg geräumt: "Blitzartig", wie Paul Lendvai, der österreichisch-ungarische Kenner der Verhältnisse in dieser Zeitung noch unlängst warnte.
Ungarn ist nicht ohne Schaden an Leib und Seele von der Finanzkrise getroffen worden. Man hatte, Ungarn nicht allein, sich nach 1990 einen guten Tag gemacht, alles auf Kredit in Hartwährung, auf kritische Auseinandersetzung mit dem gulaschkommunistischen System verzichtet, die alten Wunden von 1919 aufgerissen, als der Friede von Trianon von der ungarischen Reichshälfte nur noch Fragmente zurückließ - überwölbt durch Ressentiments gegen West und Ost, Juden und Zigeuner.
Geschichte wiederholt sich nicht - es sei denn doch. Was in Ungarn entsteht, ist der Führerstaat des Victor Orban, skrupellos und machtbewusst. Wie György Konrad einmal bemerkte: "An den Rändern Europas kichert der Wahnsinn."

Nincsenek megjegyzések:

Megjegyzés küldése